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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: Gegen die Hitze: Was kommt nach 1,5 Grad?

Neue Perspektiven und Chancen in der globalen Klimadebatte


Chair Pascal Lamy interviewed by Kalina Oroschakoff, 31 March 2023


«Politisch gesehen sind die 1,5 Grad nicht verhandelbar», sagt Pascal Lamy. Die Politik wird vom selbstgesetzten Ziel nicht mehr abrücken, davon sind viele Experten überzeugt – auch wenn wir diese Temperaturmarke in den kommenden Jahren voraussichtlich überschreiten. Der ehemalige Direktor der Welthandelsorganisation denkt viel darüber nach, was dann geschieht, und welche Optionen wir haben, den Folgen steigender Temperaturen entgegenzuwirken.


Lamy ist der Vorsitzende der Climate Overshoot Commission, die im vergangenen Jahr ins Leben gerufen wurde. Ein Blick auf die Mitglieder zeigt einen breiten Mix von Politikern, Forschern und Vertretern der Zivilgesellschaft aus Entwicklungs- und Industrieländern, von Mexiko über Brasilien, die USA bis zu Indonesien und China. Gemeinsam sollen sie Ansätze entwickeln, wie die Risiken reduziert werden könnten, sollte sich die Welt über 1,5 Grad hinaus erwärmen.«Planet A» hat sich mit Lamy über die Risiken und Anforderungen eines solchen Szenarios unterhalten.


Pascal Lamy erinnert sich. Im Jahr 2015 war die Zielmarke von 1,5 Grad bis Jahrhundertende ein politisches Zugeständnis an die Inselstaaten und «andere mögliche Opfer des Klimawandels», hervorgegangen aus den Schlussverhandlungen zum Pariser Klimaabkommen. Sie ist seither zur Messlatte der internationalen Klimapolitik geworden, auch wenn das Ziel von vielen Forschern schon damals als schwer erreichbar eingeschätzt wurde. Egal, ob der CEO eines Erdölgiganten, ein Regierungschef oder ein junger Klimaaktivist am Rednerpult steht: Keine politische Rede zum Klimawandel ist ohne symbolische und ritualisierte Zusage an die 1,5 Grad komplett.


Das hat damit zu tun, dass der Weltklimarat auf Anforderung von Regierungen im Jahr 2018 einen Bericht darüber veröffentlichte, was die Erderwärmung von 1,5 Grad für die Welt bedeutet. Die bitteren Befunde, welche Risiken schon mit dieser Marke einhergehen, werden seither politisch erfolgreich genutzt, um Druck aufzubauen und Erfolge und Misserfolge internationaler Bemühungen zu messen. Das führte auch dazu, dass sich das Ziel netto null Emissionen bis zur Jahrhundertmitte als allgemeingültige Verpflichtung für Regierungen durchgesetzt hat. Das gilt allem voran für die grossen und historischen Verschmutzer und Wirtschaftsmächte.


In der Realität sei die Marke jedoch wohl bald überholt, mit schwerwiegenden Folgen für den Planeten und die politische Debatte, so Lamy. Die Wahrscheinlichkeit, dass die 1,5 Grad überschritten würden, werde immer höher, befanden die Autoren des jüngsten Berichts des Weltklimarats diplomatisch. Die Erklärung dafür ist so simpel wie ernüchternd: Trotz Verpflichtungen, das Gegenteil zu erreichen, steigen die Emissionen weiter an.


Folgt man den meisten Szenarien, könnte die 1,5-Grad-Marke schon in der ersten Hälfte der 2030er Jahre überschritten werden, sagen Wissenschafter wie Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Geden hat am jüngsten Bericht des Weltklimarats mitgeschrieben. Diese Erkenntnis bedeute auch: «Die Politik muss sich damit auseinandersetzen, dass es wohl nicht immer möglich sein wird, unter 1,5 zu bleiben.» Das erfordere insbesondere die Debatte darüber, wie die Erderwärmung wieder auf 1,5 Grad gesenkt und eine Überschreitung dieser Zielmarke so begrenzt wie möglich gehalten werden könne.


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